Damit du am nächsten Morgen keinen Katar hast. Ich bin mir sicher, dass diese Headline an der Fussball WM in Katar in der Werbung oder als Social Media-Post von Brauereien oder Detailhändlern genutzt wird, um auf nichtalkoholisches Bier aufmerksam zu machen.
Daran wird vermutlich auch der erschütternde und hervorragende Bericht im «Das Magazin» vom Samstag nichts daran ändern. Der Journalist ging auf Spurensuche und besuchte Hinterbliebene in Nepal, um die Hintergründe und Folgen von Tausenden von Wanderarbeitern zu schildern. Laut einer Recherche von «The Guardian» sind 6500 Arbeiter aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesh und Sri Lanka beim Errichten von Stadien, Hotels und einer U-Bahn umgekommen oder haben Selbstmord begangen. Keine Frage, das Thema wird vor der WM noch mehr Medienpräsenz erhalten. Allerdings werden vermutlich die skandalösen Geschehnisse spätestens nach dem Anpfiff des Eröffnungsspieles verdrängt vom Bedürfnis vieler Fans nach Alltagsflucht, patriotischer Selbstüberhöhung und unbeschwert ein Bier mit Freunden trinken.
Doch selbst wenn nicht Millionen von Menschen die Übertragungen bewusst boykottieren werden, kommen Unternehmen und Social Media-Manager:innen, die auf den WM-Zug aufspringen wollen, nicht drumherum, sich zu fragen, wie sie mit den Katar-Toten umgehen sollen
Erster Weg: Social Media Posts as usual
Ich zeige ein paar Wege auf anhand der fiktiven, kleinen Bierbrauerei Hicks!. Sie könnte die Tatsache komplett ignorieren, dass die WM in Katar viele Menschenleben gekostet hat. Sie könnte bierselige Sprüche klopfen, das Risiko eines Shitstorms wäre wohl minim. Entschliesst sich allerdings eine andere Bierbrauerei dazu, die Opfer in Katar zu unterstützen oder ihren Unmut auszudrücken gegenüber den Zuständen, fühlen sich die Feel Good-Sprüche von Hicks! schal an.
Zweiter Weg: Einen Teil des Umsatzes spenden
Die Inhaberin von Hicks! trommelt ihre Mitarbeitende zum Brainstorming zusammen: „Bald ist WM, hat jemand eine Idee wie wir uns da inszenieren und einen Umsatzsprint einlegen könnten? Da meldet sich der Praktikant: „Ich habe gelesen, dass viele Wanderarbeiter gestorben sind beim Bau der Infrastruktur.“Wir könnten pro verkauften Kasten Bier x Franken an die Hinterbliebenen spenden.
Viele Marketing:expertinnen, die sich zum Thema «Gutes tun und darüber reden» äussern, würden eher Nein sagen zu diesem Amalgam zwischen Umsatzförderung und Spenden. Sie würden zudem auf die Unglaubwürdigkeit der Bierbrauerei hinweisen, falls diese bisher nicht nur soziale Engagements aufgefallen ist. Der Tenor in der Marketing-Welt ist da einhellig: Fundiertes Social Doing schlägt fassadenbauendes Social Storytelling. Ich persönlich schliesse die Form des Engagements nicht aus Prinzip aus. Die Umsatzspenden-Aktion könnte auch ein Startschuss für ein langfristiges Engagement sein.
Dritter Weg: Spendenaktion starten
Denkbar wäre auch ein Spendenaufruf, bei welchem Hicks! mit gutem Beispiel vorausgeht und einen Betrag spendet. Die Katar-Toten müssten allerdings die Mitarbeitenden, die diese Spendenaktion pushen, wirklich innerlich bewegen. So ein Projekt lässt sich nicht glaubwürdig nach aussen tragen, wenn die beteiligten Menschen das Ganze teilnahmslos abwickeln.
In Szenarien denken
Bestimmt gibt es noch andere Wege, die der Bierbrauerei offenstehen, wie zum Beispiel die eigene Community mit in die Entscheidung einbeziehen. Jedenfalls müsste sich Hicks! bei der Erarbeitung der Social Media-Strategie oder Spendenaktionen Gedanken über verschiedene Szenarien machen. Wie reagieren, wenn eine Fussballmannschaft vor dem Anpfiff ein Banner ausrollte? Zuschauer:innen haben bereits beim Spiel Deutschland gegen Italien ein Banner hochgehalten mit der Botschaft: 15000 Tote für grobe Kulissen – FIFA und Co. ohne Gewissen. Dies könnte sich während der WM wiederholen.
Was meinst du: Dürfte die Migros Sprüche klopfen?
Die WM wird nicht nur von Bierbrauereien genutzt, um Content zu produzieren. Auch Detailhändler, Versicherungen, Banken und viele andere werden den populärsten Sportanlass der Welt dazu nutzen, um mit taktischen Massnahmen ihre kommunikativen Ziele zu erreichen. Sie werden sich ebenfalls Gedanken darüber machen müssen, wie sie mit einer Veranstaltung umgehen, die auf den Körpern von vielen toten Menschen errichtet wurde.
Was denkst du: Wäre es in Ordnung, wenn das Migros Social-Team einen Post machen würde für den Ice Tea mit der Headline „Damit du nach dem Fussballabend keinen Katar hast?“ Ich würde mich über einen Kommentar freuen.