Empathischer und effektiver schreiben. Eine Kurzanleitung für E-Mails.
Der E-Mail-Verkehr hat aufgrund des Homeoffice-Trends stark zugenommen. Bei allen Vorteilen des Zuhause arbeiten kann man eines nicht schönreden: Die Beziehungen in Teams und mit Kund*innen sind nicht stärker geworden. Geschwächt wurde auch der Empathiemuskel. Es macht einen Unterschied, ob ich Pixel sehe auf einem Bildschirm oder mich mit einem Menschen von Angesicht zu Angesicht unterhalte. Doch der Nachteil lässt sich begrenzen mit E-Mails, in denen du mehr Empathie schenkst. Mit Empathie meine ich das Vermögen, sich in die Situation deines Gegenübers versetzen zu können, die Gefühle zu erraten und die dahinter liegenden Bedürfnisse. Das Konzept beruht auf «Gewaltfreie Kommunikation» nach Marshall B. Rosenberg.
Ein misslungenes Beispiel von mir
Ich war spät dran mit einem Content Marketing-Artikel und benötigte das Feedback einer Person. Ich schickte meinen Text und merkte an, dass es dringlich ist, und fragte die Person, ob sie mir bis nächsten Tag ihren Input geben kann. Alles freundlich verpackt. Am nächsten Tag: keine Antwort. Am übernächsten ebenfalls nicht. Ich schrieb einen netten Reminder.
Die Person fühlte sich unter Druck gesetzt und antwortete mir:
Lieber Nemi
Du kannst mir keine 1-Tages-Deadline geben für ein Feedback auf deinen Text! Ich habe noch andere Jobs auf dem Tisch liegen mit einer hohen Priorität. Du hast bestimmt auch mehr als einen Tag bekommen, um den Text zu verfassen.
Die Person hatte vollkommen recht. Und mindestens so wichtig: Offenbar stand sie unter erhöhtem Druck.
Was hätte ich darauf antworten können? Denkbar wäre ein Mix zwischen sich entschuldigen und meine Position verteidigen gewesen. Zum Beispiel:
Liebe Person xy
Sorry, ich wollte dich nicht unter Druck setzen. Ich habe auch am Montag geschrieben, ob du es bis Dienstag machen könntest und nicht, dass du es machen musst. Bis wann kannst du über den Text schauen? Danke für deine Mühen! Lieber Gruss Nemi
Meine empathische E-Mail
Ich habe die Mail nicht abgeschickt. Stattdessen habe ich einige Momente innegehalten und habe mich versucht, mich in die Person zu versetzen. Zudem habe ich mir die letzten Mails durchgelesen. Am Schluss entschied ich mich für ein längeres Mail, um die Verbindung zu stärken.
Liebe Person XY
Danke für deine Nachricht und ehrliche Reaktion.
Ich kann mir vorstellen, dass du sehr beschäftigt bist und verschiedene Deadlines erfüllen musst. Von dem her verstehe ich, dass du eine 1-Tages-Deadlines jenseits von Gut und Böse findest. Es ist in der Tat so, dass ich mehr Zeit für das Verfassen des Textes bekommen habe.
Klar, mein Arbeitsschritt erfordert mehr Zeit als deiner. Deswegen kann ich trotzdem nicht erwarten, dass mein Anfrage sofort zuoberst auf deine To do-Liste hüpft.
Ich habe auch festgestellt, dass meine letzten Mails an dich von einem Ton der Dringlichkeit geprägt waren. Ich möchte nicht, dass automatisch bei dir jedes Mal der Adrenalinspiegel steigt, wenn du ein E-Mail von mir erhältst. Ich werde mich zukünftig darauf achten.
Kannst du mir bitte sagen, bis wann du den Input zum Text geben kannst, ohne dass es für stressig wird? Ich wäre froh, wenn ich den Text bis Ende Woche bekommen könnte.
Wenn das nicht geht, dann lass es mich bitte so schnell wie möglich wissen.
Lieber Gruss
Nemi
👇Kurzanleitung für empathische E-Mails auf Grundlage der Gewaltfreien Kommunikation
Spürst du den Unterschied im obigen Text zu der Variante, in der ich mich entschuldige und rechtfertige ? Der Ton und die Zusammenarbeit hat sich mit der Person merklich verbessert. Und das «nur», weil ich mich in ihre Lage versetzt habe. Aber versuche es doch selbst bei nächster Gelegenheit.
- Frag dich, wie sich die Person, der du schreibst, gerade fühlen könnte oder in welcher Situation sie gerade steckt und welche Bedürfnisse bei ihr erfüllt oder nicht erfüllt sind.
- Nimm dies in deiner Nachricht auf. Ganz am Anfang.
Wenn du nicht 100-prozentig weisst, wie es der Person gerade geht, dann lass dies in deine Nachricht einfliessen. Also nicht: Ich bin mir sicher, dass du beschäftigt bist, sondern ich kann mir vorstellen, dass du beschäftigt bist. - Gib acht, dass du nicht deine Position rechtfertigst oder verteidigst — selbst wenn du im Recht bist. Schenke zuerst Empathie. Du kannst in einem nächsten Mail oder in einem persönlichen Austausch nochmals deine Sicht der Dinge darlegen. Die Person wird dann viel empfänglicher sein. Eine Verteidigungshaltung deinerseits erkennst du oft an Sätzen mit einem „aber“ drin.
- Empathie geben per Mails stösst an Grenzen. Telefonieren oder sich kurz treffen ist möglicherweise der bessere Weg.